Leseprobe aus dem Reisebericht einer österreichischen Familie, die in viereinhalb Jahren um die Welt segelte

 

Als ich den Kapitän versenkte

Wie alles begann? Mit einer Liebesgeschichte! Und wann? An einem windigen, kalten Tag in den Fluten der Alten Donau in Wien. Von einer Weltumsegelung war damals noch keine Rede. Oder sagen wir so: Mein Peter hatte mir seinen Traum noch nicht so richtig gebeichtet. Er war ja damals auch noch nicht mein Mann, sondern nur mein boyfriend und das auch erst seit ein paar Wochen.
Er hatte mir natürlich von seinem Schiff Risho Maru erzählt, einem Wharram-Katamaran. Das sagte mir rein gar nichts, außer dass ein Katamaran zwei Rümpfe hat. Er stand in einer Marina in Griechenland und Peter bewegte ihn drei Monate im Jahr. Ein Foto hatte ich auch. Peter, braungebrannt mit blitzblauen Augen am Steuer seiner Rishu Maru. Ich hasse Sonnenbäder und werde auch nicht braun. Mhm, das irritierte mich etwas, aber ich dachte mir, was solls, der Sommer war noch einige Monate entfernt. Und so beschlossen wir, es mal mit dem Segeln im Kleinen zu probieren.
Die Alte Donau in Wien war und ist ein begehrtes Wochenendsegelrevier. Ich weiß nicht mehr warum, aber mein Bruder Stefan schloss sich uns an. Er hat es bereut. Aber dazu später.
Wir mieteten eine nette kleine und schwere Jolle aus Holz und legten ab. Ich hielt in einer Hand die Großschot, in der anderen die Steuerpinne. Wow! Die Gischt spritzte über uns hinweg, die Jolle jagte dahin, wir segelten! „Fieren“, klang es zärtlich von den Lippen meines Kapitäns.
Eine dicke graue Gewitterwolke schob sich über die Sonne. „Fieren“, sagte mein Geliebter erneut und zwinkerte mir freundlich zu. Ich fror doch nicht. Mein Bruder schien etwas unlocker. Fror er? Ach Brüder! Freiheit! Luft! Liebe! Und dieser stürmisch leidenschaftliche Wind! „Fieren! Mach die Großschot auf!“ Irgendwas irritierte mich am Ton meines Freundes. Frechheit, es klang wie ein Befehl. So ein bisschen jedenfalls. Ach ja, unsere nette Jolle hatte eine etwas eigenartige Lage eingenommen. On the heel – sollte ich einige Jahre später lernen – auf Stöckeln sozusagen. Schräglage.
Meine neuen Leinenturnschuhe (ohne Stöckel) schienen irgendwie dem Wasser sehr nahe gekommen zu sein. „Mach das Segel auf. Leine los!“ Was? Ich zog doch schon die ganze Zeit daran und jetzt noch fester. Oder war das etwa wie bei rechts und links, was ich auch immer verwechselte?
Ja, es war. Langsam versank die Jolle im gar nicht so blauen Donauwasser. Neben mir mein Bruder, der sein Bauchtäschlein mit Handy und sämtlichen Kreditkarten verzweifelt in die Luft hielt. Peter stand mit einem Fuß am Rand der Jolle, mit dem anderen am Schwert und versuchte sie wieder aufzurichten.
Vergiss es. Vollholzjolle aus den 60er Jahren ohne Schwimmkörper. Immerhin verließ Peter als letzter das Schiff und seinen, trotz vorhersehbarem Untergang, festen und entschlossen Blick, werde ich nie vergessen. Das Wasser kroch langsam meine Leinenturnschuhe hoch, die Jeans entlang bis zum Frühlingsjäckchen. Schließlich erreichte es meinen Hals und ich wimmerte prustend: „Was soll ich tun?“ Kapitän Peter: „Schwimmen!“ Und so versanken wir vor den Augen der neugierigen Sonntagsspaziergänger in der Alten Donau.
Zwei Weltumsegler in spe und der Bruder einer Weltumseglerin! Wer hätte das gedacht!
Vor allem, als man diese Gestalten später, gerettet vom Motorboot des Yachtclubs, in alten Jogginghosen und peinlich gestreiften 70er-Jahre-Pullis am Strand sitzen sah. Genau aus der Klamottenkiste, über die ich mich im Bootshaus lustig gemacht hatte. „Nie wieder“, fauchte das weibliche Crewmitglied und die zukünftige Weltumseglerin.
Tja; never say never!

 

Peters Traum

So vergingen die Jahre in Wien. Mein boyfriend kniete eines Valentintages in unserem Vorzimmer vor der grünen Sitzbank und hielt um meine Hand an. Mir war schlecht.
Natürlich sagte ich „Ja“. Ich wollte diesen Traummann auf jeden Fall heiraten. Ich hatte mit ihm bereits zwei Sommer auf seiner Risho Maru verbracht. Den ersten Sommer im Ionischen Meer, an der Westküste Griechenlands. Ich kannte jetzt die Unterschiede zwischen Großsegel, Fock, Spinnaker und Co. Am Wind, gegen den Wind, im Wind, ohne Wind! Erst im zweiten Sommer erlebte ich ordentlich Wind und für mich hohe Wellen, ja sogar Sturm um den Peleponnes, das Tor zum Hades.
Ich erinnere mich an meine Gedanken, als wir unter Segeln ablegten: Ich fühlte mich in dieser Stille des Augenblicks wirklich um einige tausend Jahre zurückversetzt. Wie Odysseus oder einer dieser großen Seehelden. Mein Mann, der Kapitän, war souverän; segelte er sein Schiff doch schon zwanzig Jahre von Griechenland, über Kroatien und Italien, bis nach Tunesien.
Er liebte sein Schiff, das war mir klar. Risho Maru war und ist etwas ganz Besonderes. Ein Eigenbau aus Holz und Epoxid, die Kabinen sehr individuell gestaltet. Lange gab es keine Toilette, nur eine Klobrille an einem toilettentechnisch praktischen Ort über dem Wasser. Man setze sich im Sarong drauf und Plumps! Erstaunlicherweise hielt das kaum jemand davon ab, seine Sommerferien auf Risho Maru zu verbringen. Ich war aber doch froh, dass es irgendwann ein nettes Klokabinchen gab!
Risho Maru wurde gerne in den kleinen engen griechischen Häfen als Fotomodell eingesetzt. Sie stach mit ihrer eigenwilligen Form heraus: zwei markant schräge Masten, ohne Deckshaus, irgendwie hippiemäßig und doch elegant – vor allem unter Segeln. Eine Ketsch: zwei Masten, zwei Vorsegel, ein Diesel-Außenborder, den der Kapitän nur für Hafenmanöver verwendete. Es wurde vor allem gesegelt.
Mulmig war mir schon manchmal. Beispielsweise wenn in der Nacht der Wind über Deck fegte und der Kapitän mit seinem Dinghi einen zweiten Anker ausbrachte. Ich fand das Segeln schön, aber nach dem Sommer freute ich mich dann doch wieder auf unsere Wohnung in Wien.
Inzwischen wusste ich, dass es Peters Traum war, um die Welt zu segeln. Seine Freunde Wolf und Doris, die Seenomaden, waren gerade von ihrer Weltumsegelung zurück. Weltumsegler. Was sind das für Typen? Eigentlich sahen sie ganz normal aus. Und doch war da irgendwas, das einen unruhig werden ließ. Dieses Flackern in den Augen, eine ureigene Sicherheit, ihre unglaublichen Geschichten, ihre hohe Flexibilität. Sie waren anders als alle, die ich bisher kennengelernt hatte. Ich fragte mich immer: Warum macht man sowas? Dann besann ich mich. Auch ich war einige Jahre zuvor für zwei Jahre ausgestiegen und nach Amerika gereist. Und diese Zeit war wunderbar gewesen; hart, aber für immer prägend.
Aber mit einem Segelboot? „Nein.“ Dazu sagte ich „Nein“. Peter war nicht böse, drängte nie, träumte weiter.
Die Segelmagazine häuften sich in unserer Wohnung. Irgendwann begann ich auch zu lesen, sah Bilder von braungebrannten Menschen auf Segelyachten, die vor weißen Stränden ankerten. Südsee, Karibik, ich las natürlich vor allem die Berichte, in denen Segler in Stürme gerieten, Riesenwellen und Zyklone Strände verwüsteten, Piraten raubten und mordeten. Aber ich las auch über Tanja Aebi. Eine 18-Jährige, die das schafft? Ich sah „Der Sturm“ mit dem schönen George Clooney in Seenot! Ich verschlang Björn Larsson und sah den verzaubernden Diavortrag unserer Seenomaden. Und erst an diesem Valentinstag hatte ich gelesen, dass es Leute gab, die auf so eine Reise sogar ihre Kinder mitnahmen!
Apropos Kinder. Mir war schlecht. Und ich sagte gerührt „Ja“ zu dem Mann auf Knien vor mir.
Ich wusste, dass ich mit ihm durch dick und dünn gehen wollte. Mit ihm wollte ich immer zusammen sein. Mit ihm war es auch auf dem Schiff nie zu eng. Er sagte, er würde mir die Welt zu Füßen legen. Was ich damals nicht wusste: Er meinte das wörtlich!
Neun Monate später war mir nicht mehr schlecht. Ich war durch dick und dünn gegangen und auf dem Schiff war es eineSpur enger geworden. Finn war da. Fast an Bord geboren, verbrachte er seine Kleinkindjahre jeden Sommer auf unserer Risho Maru. Sein erstes Wort war Fischernetz.
Ich arbeitete als Schauspielerin am Theater und nach einer unglaublich mühsamen, von Eitelkeiten und Zierereien geprägten Probe, fragte ich mich wieder mal: Wo ist der Sinn? Wofür das alles? Vielleicht ist es Zeit für eine Auszeit? Ich rief Peter noch am Bühnenausgang an und sagte: „Lass uns nach Hawaii segeln.“ Damit war der Bann gebrochen und auch in meinem Hirn begann sich die Idee einer Weltumsegelung zu spinnen. Die Welt sehen! Andere Menschen! Ein anderes Leben! Neues erleben! „Aber warum gerade mit einer Segelyacht?“, fragte ich mich. Warum den Launen der Natur so ausgesetzt? Wenn was passiert? Und was, wenn wir heimkommen? Das Danach? Es läuft ja eigentlich alles gut zurzeit. Eigentlich. Das Unwort.
Ich druckste in den folgenden zwei Jahren manchmal noch herum, aber Peter blieb standhaft. Ihm ist es letztendlich zu verdanken, dass wir diesen Schritt wagten. Ja, und natürlich einer kleinen Erbschaft, viel zu klein, um damit eine Eigentumswohnung zu kaufen, aber groß genug, um eine Basis für diese Reise zu haben.
Wir nannten unser Vorhaben eine Segelreise – eine Weltumsegelung war nicht vorrangig.
Erstes Ziel: Karibik. Danach würden wir – oder sagen wir ehrlicherweise ich – den weiteren Verlauf der Reise bestimmen. Ich sagte also „Ja“. Zweimal. Zuerst zum Mann, dann zur Reise. Beides habe ich nicht bereut!

 

 

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