Opti-Eltern kauft euch endlich Stöcke
Es ist schwer, wenn man seine eigenen Träume nicht verwirklichen kann und alles auf die Kinder ablädt. Schwer für die Kinder, aber die Eltern leiden mehr.
Seht sie euch an, in ihren sündhaft teuren Offshore-Seeparkern, an die noch niemals auch nur ein einziger Tropfen Salzwasser gegischtet ist. Da stehen sie an den Regattawochenenden an den Ufern der Binnenseen. Sie sind viele hundert Kilometer gefahren. Ihre Wohnwagen und Wohnmobile haben intelligent konstruierte Halterungen für Optirümpfe und Köcher für Masten, Spriet und Segel. Die Heckpartien und Fenster sind zugepflastert mit Siegeln der Klassenvereinigung und den Logos attraktiver Regattabahnen. Sie pressen die Augen gegen die Marinegläser mit Peilkompass oder bauen ihre Teleskope auf mobile Stative. Sie haben investiert. Sie haben richtig Geld ausgegeben für Accessoires. Sie haben sich mit Placebos vollgepackt, lassen ihr Äußeres lachen und spüren doch die Verzweiflung unerfüllter Träume.
In einer Hand halten sie die wasserfesten Notizblöcke, in der anderen Hand die Kugelschreiber, mit denen man auch auf feuchtem Papier noch schreiben kann. Damit notieren sie die Segelnummern der Konkurrenten ihrer segelnden Hoffnungen, Uhrzeiten, vermeintliche Regelverstöße und wie oft sich ihre Piloten nach dem Gegner umgeschaut haben und dadurch wieder unnötig Höhe verloren haben. Wehe, ihre Piloten schätzen die Wellenhöhe falsch ein und sitzen drei Zentimeter zu weit vorn auf der Kante! Wie sich der Bug festbolzt! Und der andere zieht locker vorbei! Ich habe ihm gesagt, er soll Spannung auf die Spriet geben! Was muss der ausgerechnet jetzt an seinem Reißverschluss fummeln…
Im Physikunterricht haben sie alle nicht aufgepasst. Sie wissen nicht, dass der Blick durch das Fernglas die Perspektive verzerrt, alles flächig erscheinen lässt und Distanzen nur schwer abgeschätzt werden können. Nichts stimmt mehr. Das Bild, das sie durch die Linsen sehen, ist ein anderes als dasjenige, das ihre Kinder vor Ort wahrnehmen. Höhen verschieben sich optisch. Eine Lee-vor-Luv-Situation kann nur von Bord aus eindeutig entschieden werden, nicht aus dreihundert Meter Entfernung durch ein astronomisches Teleskop. Aber die Beobachter an den Ufern malen dennoch voller Verzweiflung ihre Skizzen, formulieren ihre Proteste und bereiten die Protokolle vor, die ihre Piloten nur noch unterschreiben müssen, um den Gegner mit Hilfe des Schiedsgerichts zu disqualifizieren, wenn sie nach dem Lauf an die Stege zurückkehren. Und wenn sich bei siebzig Startern die eigene Position von dreiundsechzig auf neunundfünfzig nach einem Urteil verbessert, ist das ein Triumph. Nur nichts gefallen lassen! Und die Schiedsrichter freuen sich, wenn sie gebraucht werden und tagen dürfen, anstatt an der Clubtheke von ihrer eigenen Jugend zu träumen.
Nicht ihre Kinder sitzen an den Pinnen. Sie selbst, die Erzeuger, sind es, die durch die Wellen pflügen und leiden. Sie stehen in Markenbordschuhen an den Ufern und segeln dort ihre Regatten. Sie luven ihre Gegner aus, kämpfen sich mit intelligenten Schlägen frei, rauschen perfekt in den inneren Kreis an der Wendetonne, zwingen den Konkurrenten zum Abfallen, zum Kringeln, reichen ihn weiter durch nach hinten. Ihre Gesichter sind verzerrt, wenn sie die Gläser dann von den Augen nehmen, weil sich ihre perfekte Taktik wieder nicht mit den Aktionen ihrer Stellvertreter auf dem Wasser deckt. In ihren Pupillen glimmt ein pathologisches Feuer, maskenbildnerisch dramatisch umrahmt von den rötlichen Pressringen, die die Okulare hinterlassen haben. Sie haben keine Lust mehr weiter zuzusehen und setzen die Gläser doch wieder an die Augen.
Der befreiende Terror eskaliert nach der Regatta, wenn der Stellvertreter weinend und frierend neben dem Boot steht, das die Eltern jetzt aufslippen, lenzen, polieren, die Segel neu trimmen – wortlos, eingeschlossen in einer Aura schneidender Kälte. „Weißt du, was das ist?“ Ein kleines schwarzes Röhrchen wie eine Filmdose für Kleinbildfilme hängt an der Baumnock. Ein Zeigefinger, nur halb bekleidet mit nagelneuen Seglerhandschuhen, aus feinstem, salzwasserresistentem Luxusleder schnippt gegen das Plastik. Ein roter Fetzen Tuch fällt heraus, pendelt im Wind. „Siehst du, so einfach geht das!“ Der Stellvertreter schnieft, nickt, weiß Bescheid, wischt sich eine Träne von der kalten Wange und den Rotz von der blau gefrorenen Oberlippe, mit Seglerhandschuhen, die von rauschenden Schoten schon fast zerrieben sind. „Hättest du die Protestflagge rechzeitig gezogen, wärst du einen vollen Platz weiter vorn gewesen. EINEN VOLLEN PLATZ!“ Der Stellvertreter nickt, nickt automatisch, steht gar nicht am Ufer, denkt an Computerspiele in warmen, unaufgeräumten Zimmern, bei denen man sich den Weg durch Dauerfeuer freiräumen kann, und hört nur die elektronische Schallkulisse des virtuellen Waffenarsenals. „Ich jedenfalls hätte das hingekriegt. Locker! Einen vollen Platz; mindestens.“ Der hässliche Mund redet weiter. „Und jetzt? Die Pfeife da vorn lacht sich doch ins Fäustchen!“ Die Pfeife da vorn, hat die Fäustchen vor das Gesicht gelegt, damit niemand ihre Tränen sehen kann. Ihr Durchsetzer steht vor ihr, hoch und drohend, die Arme vor der Brust verschränkt und kann nicht begreifen, wie um alles in der Welt man auf Raumschotkurs vergessen kann das Schwert aufzuholen. „Auf Raumschotkurs! VERGESSEN! Ich pack das nicht!“
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